Das Radioballett ist eine Übung in öffentlichem Radiohören. Über den Raum zerstreut führen Radiohörer*innen den Stimmen aus dem Radio folgend gleichzeitig dieselben Gesten aus. Ziel der Performance ist es, massenhaft Gesten und Alltagspraktiken an einen Ort zurückzubringen, aus dem sie durch Privatisierung und damit einhergehender Kontrolle verdrängt wurden. Das erste Radioballett fand 2002 im Hamburger Hauptbahnhof statt. Ein zweites am 22. Juni 2003 im Leipziger Hauptbahnhof. Dort folgten ca. 500 TeilnehmerInnen der Einladung zum öffentlichen Radiohören.
Die Radiosendung schlägt eine von Reflektionen unterbrochene Choreographie vor, mit der die Grauzone zwischen „erlaubten“ und „verbotenen“ Gesten erforscht wird – wie z. B. zwischen der Geste, die Hand zu reichen und der Geste, die Hand (zum Betteln) aufzuhalten. Der kleine Unterschied in der Haltung der Hand ist in kontrollierten Räumen wie den Bahnhöfen von großer Bedeutung, entscheidet er doch darüber, ob man in ihnen verweilen darf oder aus ihnen verwiesen wird.
Für die Dauer der Performance verwandelte sich der Bahnhof in einen unheimlichen Raum, der sich dem von der Hausordnung Verdrängten öffnete. Durch die über den ganzen Raum verteilten Teilnehmer*innen des Radioballetts erhielt dieses Verdrängte Einzug in gespenstischer Form – als gleichzeitig agierende, aber zerstreute Masse, die dem alltäglichen Treiben des Ortes fremd blieb
Das Radioballett erprobte solcherart eine neue Form der politischen Aktion im kontrollierten öffentlichen Raum: die Intervention durch die freie Assoziation der zerstreuten Radiohörer*innen.
Die deutsche Bahn versuchte sowohl das Leipziger, als auch das, ein Jahr zuvor durchgeführte Hamburger Radioballett zu verbieten, konnte die Verbote aber weder vor Gericht noch gegenüber den zahlreichen Teilnehmern durchsetzen.